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Das Essen wird im illegal angebauten Wintergarten liebevoll serviert.
Der Stadtblog besucht in den nächsten Wochen einige der schönsten, billigsten oder auch gewöhnlichsten Schlafplätze der Stadt, welche die Einwohner sonst selten zu Gesicht bekommen: Wir checken als Zürcher in Zürcher Hotels ein und verbringen dort eine Nacht als Gäste. Und wo sollte die Serie sonst beginnen als auf dem Zürcher Hausberg, dem Üetsgi? Unser Autor verbrachte eine «romantische Nacht» im Hotel Uto Kulm.
«20 Minuten vom Hauptbahnhof» hiess es auf der Homepage des Hotels Uto Kulm. Nun, ich bin ja nicht zum ersten Mal auf den Üetzgi und weiss, dass danach noch gute 20 Minuten Fussweg durch den Wald anfallen. Offenbar ist dies aber nicht allen Besuchern bewusst. Auch nicht, dass ein nicht asphaltierter Waldweg vom Bahnhof zum «Top of Zürich» führt. Auf dem Weg zu meinem romantischen Abendessen überhole ich eine Dame in High Heels und schicker Abendgarderobe, die wahrscheinlich ihre Wahl des Outfits verflucht. Der dichte Nebel, der von Anfang September bis zum ersten Schnee die Zürcher Dämmerung begleitet, schafft es leicht, nette Abendkleider in feuchte Lappen zu verwandeln.
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Nebel wie in einem Edgar-Wallace-Film.
Oben angekommen sehe ich dann natürlich nicht die Lichter der Stadt. Man sieht nicht mal die Lichter der Strassenbeleuchtung, die der Nebel schon nach einigen Metern verschluckt. Nun könnte man sich über den Nebel beschweren, aber ehrlich gesagt, mir gefällts. Der Nebel ist so dicht, als ob ihn ein Requisiteur für einen Edgar-Wallace-Film aus einer Maschine geblasen hätte. Er weckt den Wunsch nach gemütlichem Hotelzimmer, Rotwein und leckerem Essen bei Kerzenlicht.
An der Rezeption empfängt mich eine freundliche Deutsche, die mir die Schlüsselkarte in die Hand drückt und mir erklärt, wo ich Zimmer und Sauna-Landschaft finde. Meinem demokratischen Selbstverständnis kommt es durchaus entgegen, dass mir niemand meine leichte Tasche aus der Hand zu nehmen und mich aufs Zimmer zu begleiten versucht, wie es in anderen 4-Sterne-Häusern vorkommt. Nur weiss ich nicht, ob reiche Gäste aus Übersee das auch so empfinden. Schliesslich zahlt man schon bis zu 900 Franken für eine exklusive Suite. Aber vielleicht liegt’s auch daran, dass ich von der Presse bin, und man mich keinesfalls beeinflussen will.
Das Zimmer
Das Zimmer selbst, mit «Aussicht», ist nicht das teuerste. Die Aussicht kann ich natürlich nicht genauer definieren, da der Nebel bis 20 Zentimeter vor die Fensterscheibe wabert. Aber schliesslich lebe ich ja hier und weiss, wie’s aussehen könnte. Die Einrichtung ist modern und gemütlich, aber eher spartanisch: Ein Doppelbett, ein kleines Badezimmer, ein Einbautischchen und genug Platz, um maximal zwei kleine Koffer abzustellen. Aber natürlich hab ich nicht die Luxusversion, die Romantiksuiten mit allem Pipapo, gebucht (man ist schliesslich bescheiden), sondern ein «Lifestyle»-Zimmer, obwohl sich mir nicht wirklich erschliessen will, was denn hier genau «Lifestyle» sein soll. Es gibt sicher Verbesserungspotential: Die kleine Begrüssungsüberraschung auf dem Bett ist ein Wernli-Guetzli, lieblos in Werbeplastik verpackt, wie man es in jedem durchschnittlichen Restaurant zum Kaffee bekommt. In einer Stadt mit Institutionen wie Sprüngli und Teuscher wäre eine kleine, hübsch verpackte Überraschung aus Schokolade eine verdiente Belohnung für den Aufstieg durch den Wald. In der Dusche findet sich ein Seifenspender auf dem «Body & Hand Wash» steht. Er erinnert mich ein wenig an öffentliche Toiletten. Keine eleganten kleinen Fläschchen mit Schampoo, die man einpacken kann. Ich nehm mir dafür vor, den Hotelkugelschreiber zu klauen.
Dann gibts dann eine postive Überraschung: Eine Kaffeemaschine auf dem Zimmer. Der Freudenmoment wird aber gleich wieder getrübt, als ich lese, dass eine Kapsel drei Franken kostet. Was ich für einen selbstzubereiteten Kaffee mit Milchpulver aus dem Tütchen selbst für Zürich ein wenig anmassend finde.
Das Essen
Nach einer Dusche mach ich mich auf in den Speisesaal. Im Wintergarten (der illegale Anbau, für den der Besitzer Giusep Fry berühmt wurde) sitzt eine Gruppe Geschäftsleute, die sich gesittet amüsiert und drei oder vier Pärchen, die das Romantik-Paket gebucht haben. Wahrscheinlich feiern sie ihre Beziehungsjahrestage oder er will ihr einen Heiratsantrag machen. Während ich Nüsslisalat aus eigenem Anbau knabbere und danach auf meine Kürbissuppe warte, sinniere ich über diese Form von Romantik. Im Kino scheint das mit den Kerzen und dem Hotel immer zu funktionieren. Hier sehe ich auch leuchtende Augen, selten getragene Abendkleider, schimmernde Rotweingläser und höre leises Geklimper des Bestecks. Ich persönlich hätte in solchem Ambiente das Gefühl, dass mir irgendwer etwas verkaufen will. Zu sanft, zu romantisch, zu perfekt. Aber ich bin auch ein alter Nörgler, der überall den Haken sucht.
Nach der hervorragenden Suppe folgen Tortelloni mit einem Hauch von Zitrone und zum Schluss ein blutiges Stück Rind mit Kartoffeln. Gutes Essen stimmt mich sanftmütig. Aber der kleine Teufel auf meiner Schulter fragt sich, was passiert, wenn eine Dame hier nicht gleich in Tränen ausbricht und zu einem Heiratsantrag schmachtend «Ja, ich will» sagt. Für einen Beziehungsstreit ist das Hotel nämlich nicht besonders gut gelegen. Es wirkt einfach nicht dramatisch, wenn man man wutentbrannt aus dem Hotel stürmt und dann erst 20 Minuten durch den Wald stiegeln muss, um dann noch eine halbe Stunde auf den Zug zu warten. Noch schlimmer ists, wenn der Streit nach 23.30 Uhr stattfindet: Dann gibts nämlich gar keine Fluchtmöglichkeit mehr per Bahn. Und sich aufs Zimmer zurückzuziehen, um sich an der Minibar volllaufen zu lassen, geht leider auch nicht. Dazu ist einfach nicht genug Alkohol in der Minibar. Also, meine Herren, wenn ihr eurer Liebsten da oben einen Heiratsantrag machen wollt, wartet nicht bis zur letzten Minute oder lasst ihr einen ehrenvollen Ausweg («Du brauchst nicht gleich zu antworten …»).
Die Sauna
Nach dem etwas schweren Schokoladenkuchen entscheide ich mich für einen Besuch der «Sauna-Insel». Gute Entscheidung. Nach 22 Uhr ist die «Insel», die sich als kleine Grotte im Keller herausstellt, verlassen und steht mir alleine zur Verfügung. Ich habe die Wahl zwischen normaler Sauna und Menthol-Dampfbad, kann mich mit irgendwelchen Luxus- und Wellnessmagazinen nackt auf den Liegen hinlümmeln, und, sollte mir der Sinn danach stehen, in die Eisgrotte zum Abkühlen. Mir steht der Sinn nicht danach. Das Kühlelement in der Grotte gibt mir das Gefühl, in einem riesigen Eisschrank gefangen zu sein. Aber die Sauna-Insel und das gute Essen machen den Abend zum Erfolg, auch wenn ich da und dort nörgele.
Der Morgen
Nach einer viel zu kurzen Nacht (unsereins muss früh aufstehen, nicht die ganze Arbeit besteht aus Testen von Luxushotels) finde ich mich vor dem reichlich bestückten Frühstücksbuffet wieder. Wenn ich eine Frühstücksperson wär, würde mich das Angebot sicherlich zufiredenstellen: Fleisch, frische Rühreier, gutes Brot, Müesli und vieles mehr. Aber ich bin nun mal eine Kaffeeperson. Und hier leistet sich das Hotel einen Kardinalfehler: Obwohl sie wirklich guten Kaffee zubereiten können, reichen sie zum Zmorgen einen Krug mit labbrigem Filterkaffee, wie man ihn sonst nur in England kriegt. So früh am Morgen kann das einem passionierten Kaffetrinker den Tag versauen.
Ich packe meine Sachen und geh zur Reception, um auszuchecken. Wieder sehr freundliches Personal, wieder aus Deutschland (in Zürich scheint man offenbar keins zu finden) und auch hier noch ein kleiner Fehler zum Abschied: Ich kriege eine kleine, eigentlich geschmackvoll gestaltete Blechschachtel im Retro-Design. Und ja, da ist Schokolade drin, aber leider wieder nichts Spezielles, sondern einfach eine ordinäre Tafel Schoggi aus dem Supermarkt. Ich knabbere sie auf dem Weg nach unten, wo mich die Bahn aus dem unwirklichen, abgelegenen Nebelschloss wieder in die hektische Stadt bringt.
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Wenns nebelfrei war, gabs früher das Schild «Uetliberg hell»
Der Beitrag Uto Kulm: «Zu sanft, zu romantisch, zu perfekt» erschien zuerst auf Stadtblog.